Martin Damus

Prof. für Kunstgeschichte an der Universität Osnabrück

MARIA, DIE VIELGESTALTIGE

Zu den Licht- und Objektkästen von Sonia Wohlfarth Steinert


Sonia Wohlfarth Steinert hat sich, angeregt von der Marienverehrung im südlichen Europa, besonders aber in Lateinamerika und inspiriert von der Vielgestaltigkeit sowie der unendlich variationsreichen Ausgestaltung der Marienfigur, dem Marienkult verschrieben. Maria, die als Muttergottes, als Fürsprecherin verehrt wird und als solche für alle da ist, scheint zugleich für alles als zuständig zu gelten. Das wird an den unzähligen Darstellungen von Maria weltweit und ihrem jeweiligen Beiwerk erkennbar, und das spiegelt sich in der Serie von Lichtkästen von Sonia Wohlfarth Steinert zum Thema wieder.

Die freundlich lächelnde Madonna in „La naturalezza“ mit dem Blumenstrauß im Arm lässt sich als Mutter und Beschützerin der Natur sehen. Allerdings ist die sie umgebende Natur sehr künstlich: ein mit Kunststoff-Gänseblümchen übersäter Kunststoffrasen. Diese Künstlichkeit entspricht durchaus dem heute üblichen Out-Fit und Beiwerk, der als volkstümlich geltenden Vorbilder, die Sonia Wohlfarth Steinert angeregt haben. Doch dass die Künstlichkeit des Kunstobjekts ironisch gemeint ist, lässt sich kaum übersehen. Das winzige Bild der Heiligen verschwindet nahezu in der Natur als Produkt der Petrochemie und Kunststoffverarbeitung. Und es blinken, den Unernst unterstreichend, permanent verschiedenfarbige Lichter auf, was an billige Reklame oder Diskoeffekte erinnert.

Dass Maria als die präsentiert wird, von der Schutz und Gedeihen der Natur erbeten werden kann, verdeutlichte ursprünglich die Sammeldose mit der Aufschrift „Thank You“, die am unteren Rand des Bildobjekts befestigt war. Das sollte ja wohl heißen, dass auch die Hilfe des Himmels nicht ohne Gegenleistung zu haben ist, dass zumindest aber die materielle Unterstützung der Vermittler erwartet wird.

Tritt hier die Muttergottes als Beschützerin der Natur in Erscheinung, so in „L´amour I“ und „L´amour II“ als Beschützerin und Beförderin der Liebe. In „L´amour II“ erscheint sie klein in einem großen Mund aus Plüsch innerhalb eines wohl nicht zufällig dreieckig geformten Kunstfells.

Und in „L´amour I“ hält sie, von Rosen umkränzt, mit gnädig einwilligendem Blick ein rosa seidenes Tuch über die kaum zu ahnende Zweisamkeit der Puppen Barbie und Ken.

Um alles kann Maria gebeten werden, alles wird ihrem Schutz und ihrer Fürsorge empfohlen. In „El Universo“ ist sie gold gerahmt als Herrscherin des Alls in Pracht, Herrlichkeit und Reichtum zu sehen. Gold steht ihr – diesem altarähnlich aufgebauten Objektkasten zufolge – im Überfluss zur Verfügung. Demzufolge kann sie auch darum angegangen und andererseits vorhandener Reichtum ihrem Schutz anempfohlen werden.

Interpretiert man die „Marias“ von Sonia Wohlfarth Steinert auf dieser Ebene, dann sieht man die Heilige Jungfrau in „War“ als Mutter des Krieges von der kriegerisches Verwüsten und Töten erbeten werden kann. Die Maria im Stacheldrahtverhau über Skeletten und Darstellungen von Krieg schwebend, erscheint hier als die gnädig Segnende. In der Tat wurde immer wieder der Segen des Himmels für eine erfolgreiche Kriegführung erbeten und gewährt. Aber vielleicht will und soll Maria gerade gerufen werden, das Morden und Zerstören zu beenden. Der Objektkasten, und nicht nur dieser, beinhaltet keine eindeutige Aussage. Die Mehrdeutigkeit wird hier noch dadurch unterstrichen, dass die segnende Maria, mittels Verwendung von Schwarzlicht, mal dunkel düster und mal hell licht erscheint. Es ist nicht auszumachen, ob sie die Mutter des Krieges ist, oder ob sie gerade angerufen werden soll, vor Krieg zu schützen, ob die segnende Geste auf den Krieg oder auf die durch den Krieg zu Schaden, Tod und Verstümmelung gekommenen Menschen zu beziehen ist.

Keine der Darstellungen in den Objekt- und Leuchtkästen ist eindeutig. Warum auch? Schließlich handelt es sich weder um Altäre oder Andachtsbilder noch um Agitationskunst, vielmehr um ein individuell künstlerisches Aufgreifen der Vielgestaltigkeit und der sehr unterschiedlichen Rollen in der die Jungfrau Maria allgegenwärtig scheint. Insofern sie an so verschiedenen Orten für so vieles, geradezu für alles und jedes in Anspruch genommen wird, ist sie notwendig auch mehrdeutig. Diese die Phantasie anregende Vielschichtigkeit spitzt Sonia Wohlfarth Steinert in den Objektkästen noch zu. Nicht nur dass sie neue, auch fragwürdige Rollen für die Marias erfindet. Die ganz verschiedenartigen Marias können in ihren unterschiedlichen Rollen, mit einer je eigenen Geschichte und ihren oft widersprüchlichen Ambientes immer aufs neue Stimmungen und Gefühle ansprechen und anregen.

Ein Grund dafür, dass die Marienverehrung in vielen Religionen der Welt volkstümlich ist und phantasievoll ausufert, ist der, dass Maria in der zutiefst autoritären und maskulinen christlichen Religion das verständnisvoll Menschliche, das Weibliche verkörpert. Darauf sprechen viele Menschen an, besonders in südlichen und lateinamerikanischen Ländern. Die Mutter „La mamá“, die liebevoll verehrte, gibt sich mit allem ab, nimmt alles als Dank- oder Bittopfer an, ein paar Blumen und Knoblauch ebenso wie Gold, Weihrauch und Myrrhe oder Billigschmuck, die aber eben auch um alles gebeten werden kann, um das tägliche Brot ebenso wie um Glück, um Arbeit oder um Liebe. Allerdings wird ein Dankeschön in Form von Geld durchaus erwartet, worauf die große Geldkiste deutlich hinweist.

Auch andere Objektkästen sind mit Öffnungen versehen, die unzweideutig darauf hinweisen, dass von den Betrachtern Geld erwartet wird. Das meint nichts anderes, als dass KünstlerInnen, nicht anders als religiöse oder andere DienstleisterInnen für ihre Arbeit zu bezahlen sind. Sonia Wohlfarth Steinert setzt, in Anlehnung an die Praxis der katholischen Kirche, jedoch als künstlerisches Konzept, Maria, die gnädige und fürsorgende „La mamá“ als Mittlerin ein, um an das Geld der Betrachter ihrer Kunst zu kommen.