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Foto: Ilka Lauchstädt


Interview mit Ralf Sausmikat vom European Media Art Festival Osnabrück European Media Art Festival Osnabrück


Mögliche Vorbilder von Ilka Lauchstädt im Film- und Videobereich?
Wo ist sie einzuordnen, wer ist vergleichbar?

Ilka ist eine der Film- und Videokünstlerinnen der dritten Generation nach z.B. Maya Deren aus der ersten und Birgit Hein und Dore O. aus der zweiten Generation von Filmemacherinnen, die in einer bis in die 70er Jahre von Männern dominierten Filmlandschaft, ihre feminine, zum Teil auch feministische Sichtweise auf die Welt durch das Objektiv der Kamera sichtbar machten.
Als Ilka an der DFFB angefangen hat ihr Folgestudium aufzunehmen, gab es neben ihr eine ganze Reihe junger Filmemacherinnen, aber nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg, Köln, Offenbach und Braunschweig , war die Zahl von weiblichen Künstlerinnen so hoch wie nie zuvor. Ute Aurand, Rotraut Pape, Tanja Stöcklin und Maria Vedder waren in dieser Zeit dabei sich mit filmischen- und Videoarbeiten zu emanzipieren und neue, narrative Sichtweisen in den mehr formal strukturalen Film der Kollegen einzuführen.

Was ist das Besondere an der unvollendeten Serie von Fotografien, die bei "Heim und Horizont II" ausgestellt wird?

Für mich ist es eine seriell strukturierte Arbeit mit einer sehr interessanten Kompositionsidee. Interessant, da sie ganz bewusst Zeichensysteme in den Mittelpunkt setzt und damit als solche erkennbar belassen hat.

Insgesamt sind es drei Bildkompositionen in drei verschiedenen Stadien, die sie in verschiedenen Aneinanderreihungen und nach Größen geordneten Abstufungen hintereinander gesetzt hat.

Auf den ersten Blick gibt es dreimal ein zentrales Element zu sehen, das jeweils über den Horizont verschoben wird: Ein sehr signifikantes Haus oder Box in den Farben Rot und Weiß.
Erst auf den zweiten Blick nimmt man wahr, dass es sich nicht um eine natürliche Landschaft handelt. Sie wirkt zuerst wie eine vereiste Seenlandschaft. Dann sieht man aber: Da ist ein Flugzeug. Es scheint sich also um einen Flughafen zu handeln.

Sie (Ilka) nimmt Bezug auf Zeichensysteme wie Verkehrschilder, Verkehrsbarken. Und aber auch - wenn man näher hinschaut - auf das Flughafengebäude selber, das fast im Dunst verschwindet. Jedoch wird das Flughafengebäude in den Hintergrund gedrängt, weil es aus sehr großer Ferne fotografiert ist. Selbst wenn sie sich physikalisch genähert hat, bleibt immer noch die Signalbarke im Vordergrund des Blickfeldes.

Wenn man, wie man als Westeuropäer liest - von links nach rechts geht - fängt es mit einer Landschaft, zwei Zeichen und einem Rudiment von Natur, einem Baumstamm, der aus dem Schnee herausragt an und geht bis zu der realen, ja fast Stadtlandschaft, die aber im Nebel, im Dunst verschwindet.

Wo sieht man Ilka Lauchstädt in diesen Bildern?

Es ist eine der letzten Arbeiten von Ilka. Deshalb muß man im Gedächtnis behalten, dass diese Fotoserie in einem Stadium entstanden ist, wo ihre Krankheit schon sehr weit fortgeschritten war. Es hat dieses Verlassene, was auch in ihrem letzten Film "Dunkelland" ein zentrales Thema ist. Auch dort gibt es Zeichen, die in Beziehung zur Landschaft stehen. Ebenso gibt es Gebäude und wie hier Maschinen. Außer der Referenz auf dieses Zeichengebilde gibt es kein sichtbares menschliches Leben dort. Selbst die Natur scheint zu ruhen, ist überzogen von Schnee, Eis und Nebel.

Das spiegelt für mich ihren Gemüts- oder Gedankenzustand wieder, in dem sie zu dem Zeitpunkt war: Dass es auf der einen Seite eine Unendlichkeit in dieser Landschaft gibt, die weit über den Horizont hinausgeht. Andererseits ist der Horizont immer sichtbar und beschreibt damit eigentlich eine Marke, die im Leben nicht überschritten werden kann.

Ist das eine tiefgründige Arbeit?

Ich interpretiere sie jetzt tiefgründiger, als sie sie selber vielleicht gemeint hat. Aber auch vor dem Hintergrund, dass ich Ilka fast 30 Jahre gekannt habe und um ihre Situation wußte, nehme ich sie als eine aus ihrem Inneren inszenierte Arbeit an.

Vielleicht hat sie Tempelhof fotografiert, weil sie früher in der Nähe gewohnt und dort eine glückliche Zeit verbracht hat.
Vielleicht, weil der Flughafen Tempelhof 2008 verschwunden ist, wie Ilka auch, denn sie hat ja ihren Tod geahnt.

Die Fotos sehen aber doch auch recht freundlich aus, erinnern an Strand...

Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Badelandschaft. Aber auf den zweiten Blick - den man auch sofort hat - wirkt es wie eine Badelandschaft in der Arktis, weil es diese Verschwommenheit des - vermute ich mal - etwas trüben Tages widerspiegelt, an dem sie die Foto aufgenommen hat.
Es hat immer diesen Grauschleier wie der Blick, den man hat, wenn man langsam einschläft. Wo sich die Augenlider senken und du selber den Blick "abdimmst". An einem Strand, bei gleißender Sonne, macht man das natürlich auch: Wenn man keine Sonnenbrille hat, dimmt man das Licht, indem man die Augen etwas schließt. Und dann bekommt der Blick so etwas Flirrendes.

Gibt es etwas Verbindendes zu "Dunkelland" und "Gil & Andrew"?

Das gibt es auf jeden Fall: In "Dunkelland" aber auch in "Gil und Andrew" ist ein zentrales Element die Horizontal-Perspektive. Bei "Gil und Andrew" ein von unten gefilmter Steinhaufen, eine Steinhalde, auf dem sich die Protagonisten scheinbar treffen, aber sich tatsächlich doch nicht treffen, weil der männliche und der weibliche Part durch Schnitt und Gegenschnitt getrennt sind. Zudem ist die Kamera bei "Gil und Andrew" immer um ca. 45 Grad gekippt, sodass der männliche und die weibliche Darstellerin immer einen Geröllberg hinaufstreben, aber sich nie auf dem Gipfel bzw. Höhepunkt treffen, sondern immer voneinander getrennt bleiben. Diese Horizonte, diese Perspektive, die aber auch immer etwas verschwommen bleiben, tauchen in "Dunkelland" auch auf. Von daher ist die Flughafenarbeit eine weitergehende Konsequenz aus "Dunkelland" heraus, wobei der Titel "Dunkelland" hier überhaupt nicht passen würde: Es ist ja hell, sehr weiß, aber wie gesagt, in Grau abgestuft.

Das Verbindende zu der Leuchtkästen-Serie "Boelckestrasse"?

Die Arbeit "Bölckestrasse" kannte ich vorher nicht. Wir haben ein Bild (aus der Arbeit) für die Todesanzeige verwendet. Weil Ilka trotz allem eigentlich immer dieses positive Denken gehabt hat, dass es immer weitergeht, und dass Licht am Ende des Tunnels ist. Und bei "der Fotoserie auf dem Flughafen ist es auch (so): Es ist alles in Licht getaucht, es ist zwar alles etwas verschwommen, es hat aber auch diese positiven Farben, dieses Rot und das strahlende Weiß. Und es ist eine Winterlandschaft. Aber: Nach jedem Winter folgt ein Sommer. Und inmitten dieses Sommers ist sie aus unserer Bildmitte verschwunden.

Zu "The Botanic´s Delight"...

In diesem Video hat Ilka sehr signifikante und opulente Blumen gefilmt und sie wie in ein Fotoalbum "durchblättert". Alle Blumen sind mit ihren lateinischen Namen benannt. Damit bekommt die Arbeit diese direkte Referenz zur Arbeit eines Gärtners, dessen Aufgabe die Pflege von Blumen und ihre Bestimmung in der Botanik ist.
Aber auch zur Künstlichkeit von gezüchteten Blumen, denn die Blumen, die sie ausgewählt hat, wirken oft sehr künstlich, so dass sie eine Kontradiktion beinhalten: Sind sie Natur? Oder rein Digital?

Es gibt zu der Installation auch Fotos aus dem Labor...

...als ein Verweis auf die Forschung in der Biologie. Die positiven Eigenschaften aus Blumen und Pflanzen generell heraus zu filtern- sprich zu züchten, um schöne Blumen zu kultivieren. Und sie gentechnisch zu manipulieren, um sie länger haltbar zu machen, oder damit sie in widrigen Umständen überleben. Oder sie als Heilmittel gegen Krankheiten zu erforschen und als Gegenmittel zu analysieren.

Diese Arbeit ist ja auch in einem Stadium entstanden, wo sie von ihrer Krankheit schon gewusst hat und natürlich gedacht hat: Es wird generell überall geforscht. Und bis die Krankheit bei mir ausbricht, haben wir bestimmt ein Zaubermittel, ein Gegenmittel. Das wird mich so nicht treffen. Daran klammert man sich natürlich...die Hoffnung stirbt zuletzt.

Sie hat ja auch noch viele Arbeiten erstellt. Die meisten Arbeiten sind in den letzten fünf Jahren entstanden...

Das ist wahr. Ich denke, dass sie trotz des Hoffens auf eine Besserung doch geahnt hat, dass ihre Zeit beschränkt ist. Und das hat sie angetrieben, künstlerisch sehr produktiv in den letzten Jahren zu sein.

Ich danke für die Aufmerksamkeit...

Osnabrück, 18.03.2009


Sonia Wohlfarth Steinert